Der Garten der Lüste

Kleine Lüste, die zukünftigen Heiligen einen Vorgeschmack gönnen aufs Paradies aber sich auch den Sündern nicht verschließen.

Farbig

Die kleine Rosa
Kleine rosa Rosa, oh wie süß ist das Innere der Heckenrosen, duftig, luftig, innig, zart. So eine kleine Lust, die alles andere als klein ist. Und noch eine und noch eine, sie kommt immer wieder wie Aprilschauer, es wird nicht gespart. Obwohl sie aus nichts besteht als diesem hellen zarten süßen Schmerz, dem zitternden zärtlichen dringlichen Licht, das singt wie Amsellied und Rosenduft und alles alles durchdringt bis es sich auflöst in Zuckerwatte und Himmelblau. (Lust hat keine Angst vor Kitsch)

Große kühle Fläche
immer wenn die Dinge zu klein und heiß und gedrängt und wuselig werden, ist sie eine Wohltat. Großes weites kühles weißes Eis, weiß auf blau, dickes Eis auf tiefem Grund, tiefweiß, eisblau, an keiner Seite Ufer außer da wo du herkommst, du kannst das kühle blaue Weiße schmelzen oder du kannst dich schmelzen lassen, oder du kannst dich kühlen so kühl du willst, alles ist möglich, da sind große Flächen der Möglichkeit, endlos, so weit du willst – du wirst zu nichts gezwungen, man kann sich dahinein verlieren, das wird vielleicht etwas einsam aber jeder Durst wird gestillt und man bleibt unbehelligt.

Blau und Fern
ähnlich der Großen Weißen Fläche aber keine Fläche und nicht weiß. Flaumige Ferne, Ferne so kühl und geräumig, Ferne hinter der Landschaft, da wo beim gemalten Bild eigentlich die Leinwand käme aber sie kommt nicht, keine Grenze hält diese blaue Ferne auf, das Blau wo alle anderen Farben herkommen oder hingehen und verschwinden, das Blau in dem die Augen ertrinken wenn man sich zum Beispiel verfahren hat in den Walliser Bergen und plötzlich vor der Fernsicht ins fliehende himmelstiefe Rhonetal steht wie Altdorfer und chinesische Meister in einem,
das Blau das immer tiefer wird und bleibt doch sanft und neblig und still und wenn du je eine Beklemmung fühlst, such die Blaue Ferne, schau, träume, verliere dich…

Kurze rote Wut
Feuerwerk, kurz, hell, heiß, hart, rot rot rot und glühend, explosiv und – kaum denkt man’s – schon explodiert. Ein knalliges Signal, hach, eine schnelle Erlösung, knallt aber tut nicht wirklich weh, man hört es krachen und kann schon wieder lachen.

Grüne Locken
wie die hellen Triebe an den Weinranken, glatt und gekringelt, die Spitze wie ein zarter dünner langer Finger, der begierig alles abtastet nach etwas, das er festhalten kann. In der winzigen Fingerspitze ein saftiges heftiges Vorwärtsdrängen, dass die Pflanze fast nicht nachkommt mit dem Wachsen. Vorne in der Spitze so ein Drängen und Sehnen und Suchen, dass sie heller glänzt als der Rest des Triebes und fast ein bisschen leuchtet . Ein Abtasten der Luft und ein Vorwärtsverlangen ohne jedes Zögern aber auch ohne jede Hast, unaufhaltbar wie ein Sonnenaufgang.

Breiter gelber Sonntagmorgen
wie das Licht am Ostermorgenfrühstückstisch, ein Licht wie gelbe Seide, dazu weißes Tischtuch, gelber Dotter, gestreifte Tapete in Weiß und Blau, grüne Zweige, Tulpen und Osterglocken, Butter und Himbeermarmelade, Hefezopf und Milchkaffee, jetzt sind alle Farben da und sie strahlen aber das Gelb und das Weiß in der Luft gewinnen immer wieder die Überhand unterstützt von der aufgeweckten Stimmung aus Brandenburg und Wien und was auch nicht fehlen darf das fehlt auch nicht ein paar kleine Kinder in Sonntagskleidern und mit jungem Hund und das Fenster ist offen und draußen blüht vielleicht ein Baum und singen die Vögel. Zusammenfassend: so etwas wie ein Akkord aus den Farben des Vatikans, japanischem Blütenzweig und einer blütenweißen Ente.

Das bisschen Weiss unten an der Tulpe
Die spannende Stelle ist da, wo der Stengel in die Blüte übergeht. Wo der Stengel zur Blüte, das Grün rot oder gelb, der schmale Schaft weit werden will. Aber es ist noch nicht soweit. Zuerst das wenige Weiß, der Ort des Übergangs wo die Welt den Atem anhält zwischen allen Farben und Formen. Das Weiß des Himmels vor der Morgenröte, der Augenblick, bevor sich etwas entscheidet, die unbenennbare Zeit zwischen Ende und Anfang, das unbeschriebene Blatt, die jungfräuliche Stille, das fromme Nichtwissen, – die heilige Unbestimmtheit, aus der alles, was wird, hervorgeht. Form- und farblos, unberührt von jedem Ausdruck, da sie eben der Grund ist, aus dem alles, was sich zeigen will, hervorgeht, lässt sie sich doch an solchen Stellen erahnen. Übergang, den es eigentlich nicht geben kann, weil das, was sich nicht entscheidet zu einem Sosein, eigentlich nicht wahrnehmbar sein dürfte. Aber die Welt der Erscheinungen hält sich nicht an solche Abgrenzungen von Möglichkeit und Unmöglichkeit. Das Weiß der Freiheit, der Raum zwischen den Wörtern glänzt und schimmert durch die Ritzen. Die Zone der Transformation. Dort passiert nichts aber es duftet nach Zukunft. Es ist eine schmale Zone, wo sich alles ändert und doch alles ruht. Die Stille, in der die Welt sich vom wilden Gedränge ihrer Entscheidungen erholt.

Das Meer und mehr

Das Meer
macht die Wesen nachgiebig und schicksalsergeben. Widerstand ist sinnlos, da fängt man gar nicht erst an, ehrgeizige Pläne zu entwickeln. Sind wir nicht alle Wasserwesen? Meer zu sein ist das Ziel. Nein, nicht Ziel sondern eine Lust, denn man hat das Ziel immer schon erreicht.
Man strandet möglicherweise am Strand. Aber auch das ist interessant.

Muschelige Freuden
sind ein Zwischending, ein Zwitter: geschlossen auf der einen Seite knubbelig rund, auf der anderen Seite kantig doch ebenfalls elegant gerundet. Offen – ja das ist so einfach und kompliziert zugleich. Ein weiches Fleischchen schält sich ab vom harten Grund. Die leere Muschel fatal weit geöffnet, völlige Hingabe, die einzelnen Schalen schöne glatte oval-runde Puppenschüsselchen. Wenn sie umgekehrt liegen, geben sie sich aus als kleine Steine …

Knubbelige Freuden
Es gibt offene und geschlossene Lüste. Die offenen sind wie ekstatisch ausgebreitete Arme, alles weit und groß und offen. Das jubelt laut und barock.
Die geschlossenen sind die kleinen runden, zusammengerollt wie das Kind im Bauch. Die glatten glänzenden warmbraunen Kastanien in der stacheligen runden Hülle. Oder wie die rosigen Blasen in den geheimen Abteilungen unserer Seele, wie Babyhaut duftende kleine pastellfarbene Kugeln, zart und glatt, weich und geschlossen rund. Es gibt sie vielleicht irgendwo in Meerestiefen, oder als Früchte einer Riesenblume.

Die goldenen Bälle
wissen immer, wo sie hinsollen. Wem sie zugeworfen werden, der fängt sie ohne Mühe. Sie klingen, wenn sie durch die Luft fliegen, wie mit einem leisen wohltönenden Orgelton oder, wenn man sie sehr hoch wirft, wie Vogelgezirpe. Sie fliegen so hoch wie man will. Sie sind so herrlich glatt, dass man sie kaum spürt, wenn man sie anfasst, und ihre Schwere variiert wohlig, je nachdem, was man fühlen will. Die goldenen Bälle erfüllen dir jeden Wunsch, denn wenn du einen siehst, kannst du nur wünschen, dass er zu dir kommt. Und er fliegt dir zu!

Die Tiefe
Die Tiefe, das ist die Tiefe der weißen Lilie. Das schmale geschlossene Geschoss, das schlanke Projektil – jetzt aufgeplatzt zum weißen Stern: weiß-gleißend, strahlend wie Seidenschimmer und Porzellanglanz, straff wie Morgensonne und Trompetenschall, lichtsaugend und glanzsprühend, so frisch und drängend ins Offene gestreckt, dass sich die Spitze der schmalen Blütenblätter nach hinten biegt, die runde Wölbung aufbäumend vorgereckt wie Schwanenhälse . Dann aber, einwärtsstrebend in rasender Fahrt, wird der Blick auf ihrem kühlen glatten Glanz in die Tiefe mitgerissen, vom blendenden Weiß unvermerkt ins Grüne gleitend, ein Grün, das wie die Steigerung, wie die Zukunft des Weißen ins Tiefe leuchtet und lockt, wo es sich verengt und verdichtet und schließlich den Blick versinken lässt aber ihm kein Ende, keinen Boden bietet sondern ihn im Augenblick des Untergehens wendet und wieder heraufschießt , hinaufschleudert auf der Bahn von Stempel und Staubgefäßstielen, die aus dieser Mitte aufsteigen wie Feuerwerkskörper, unaufhaltbar aufstrebend und dann oben, dottergelb und wachsgrün gekrönt, sich schwebend in der Sternenmitte halten, hinausreckend und hineinsaugend, hinein und hinunter in die grünweiße süßduftende dämmrige Ewigkeit der Tiefe.

Es blüht und es schmeckt

Das weichste Glatt
Das weichste Glatt, das Allersanfteste, ist ein Rosenblütenblatt. Dein Finger kann sich kaum darauf halten: er möchte schnell über die Glätte gleiten und zugleich tief ins Weiche hineinsinken. Der Finger spürt keinerlei Widerstand. Zuerst glaubt er fast, nur sich selbst zu fühlen, doch er spürt eine so seltsame Lust an der samtigen Spiegelglätte, dass er merkt, dass er doch mit etwas Anderem, mit etwas von rätselhafter, fast unheimlicher Wirklichkeit zu tun haben muss, mit einer Welt, die so weich und offen ist, dass man nicht in sie eindringen kann, die aber vielleicht selbst in alles eindringt.

Kernobst
Die Züchtigkeit der Zwetschge und ihre sanfte Unzucht, wenn sie sich doppelt und wenn du sie spaltest, und die klirrende Lust auf Kirsche, wie flüssiges Glas und süßes eisiges Blut; die heimliche Glut der Aprikosen, ihr samtiges Kosen, hitzig im Schatten der schmalen Blätter neben den hellen schnellen Mirabellen, die beim Schütteln hüpfen und gelb ins Gras prasseln wie Puppentennisbälle …

Noch mehr Obst
Die harte Kraft der glatten Äpfel mit ihrem Saft und die zärtere Wucht der Birne, die todesmutig ihren Ast verlässt; die spröden Schädelchen der Nüsse mit der unsüßen Süße der gewundenen Kerne in der Form kluger Mäusegehirne; die Zuckersaftbombe der strotzenden kühlen Melone unter dem betauten Glas der tropfenden Trauben ….

Melonenlicht
das Licht, das durch das Fleisch der Melone dringt, ein Licht wie flüssiger Zucker, das weiß durch die spitz zulaufende Seite des Melonenschnitzes bricht, ein Licht wie Saft, wie der Ton einer Glasharfe, wie heller Wein im Glas in mediterraner Lichtflut, ein blendender Glanz, der sich nicht im gleißenden Weiß halten kann sondern wie Nässe herabsinkt ins Fruchtfleisch, einbricht ins Rötliche, erblüht in glasig roter Glut, sich verliert in schwellenden Fasern, in die es eindringt und die sie mit Süßigkeit tränkt, bis es schließlich von einem kleinen, glatten schwarzen Kern verschluckt wird.

Raw facts
Ein Ettikett, weil man den Inhalt nicht beschreiben kann:
Rosesugar Net weight: 450 gr.
Ingredients: Rose petals, sugar, citric acid.
Produced at the Archangel Monastery Aegialia for “Hellenic Cellar”,
tel. (0030) 210- 51.25.686 Product of Greece.
Rosesugar is produced from the rose petals of a rare variety of pink roses, which are cultivated by the monks of the Archangel monastery, on the hillsides of Aegialia. In reverence to the monastery’s tradition and the recipe which has been passed on from generation to generation

Ach. Man schone sich nicht in den Orgien der Gärten. Gib dich hin – bevor es wieder schneit. Jede Lust steht nur einmal bereit.



Und dann noch: Mensch und Tier

Schwarz-weißer Kavalier
einfach immer tadellos schick und charmant. Eleganz ohne den geringsten Hauch von Schwäche. Nichts passt so tadellos zueinander wie Schwarz und Weiß, und das zu frisch-rasiertem Männerkinn. Es ist eine Lust ihn anzusehen, immer die richtige Mischung von tiefstem Schwarz und blendendem Weiß, in Streifen oder am Stück, vielleicht an der Weste auch gemischt zu elegantem Grau, einfach aufregend tadellos. Seine Manieren sind genauso untadelig und souverän. Nie geht etwas daneben. Egal welche Farbe du trägst, sie passt zu seinem Schwarz-Weiß, Schwarz-Weiß passt immer. Nie dauert etwas länger oder kürzer, als es sein soll. Man tanzt mit ihm und du kannst plötzlich tanzen wie sonst keine, endlos tanzen, mühelos tanzen, fehlerlos tanzen, wunderbar tanzen und Konversation machen ohne jeden Patzer, sein Charme färbt ab auf jeden in seiner Umgebung. Und wenn du nicht mehr tanzen willst, weiß er es und führt dich zu deinem Platz. Und wenn du mit ihm hinaus auf den Balkon willst oder in den nächtlichen Garten, weiß er es und begleitet dich. Und wenn du weg willst weil du der Sache nicht traust – es ist zuviel des Guten – versteht er es auch. Es ist ausweglos.



Blonder Delphin

Wie ein blonder Delphin
taucht die Banane aus dem gelben Stern der Schale.

Ein Biss macht ihn zur Blüte.

Alles kann alles werden, aber eins nach dem andern.

Gute Schuhe
Neue Absätze auf abgelaufenen aber liebgewordenen, gut sitzenden Schuhen. Du hattest sie fast vergessen und lange beim Schuster stehen lassen, sie strahlen dir auf dem Regal entgegen wie ein Hund bei der langersehnten Rückkehr von Herrchen oder Frauchen. Dann der Genuss der ersten Schritte.

(2009 / 2015)